Medizinnobelpreis 1985: Michael Brown — Joseph Goldstein

Medizinnobelpreis 1985: Michael Brown — Joseph Goldstein
Medizinnobelpreis 1985: Michael Brown — Joseph Goldstein
 
Die beiden Amerikaner wurden für die Entdeckung des Cholesterinstoffwechsels ausgezeichnet.
 
 Biografien
 
Michael Stuart Brown, * New York 13. 4. 1941; 1962 Abschluss des Chemiestudiums an der University of Pennsylvania, seit 1977 Professor und Direktor des Zentrums für molekulare Genetik an der Universität Dallas.
 
Joseph Leonard Goldstein, * Sumter (USA) 18. 4. 1940; nach dem Chemiestudium Forschungsarbeiten an der University of Dallas, 1976 dort Professor für innere Medizin, 1977 dort Professor für Molekulargenetik.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Brown und Goldstein haben das Wissen um den Cholesterinstoffwechsel und darüber hinaus über die Behandlung von Krankheiten, die durch einen abnorm hohen Cholesterinspiegel im Blut verursacht werden, revolutioniert. Sie entdeckten an den Zelloberflächen Rezeptoren, die die Aufnahme der Cholesterin enthaltenden Partikel, der Lipoproteine niederer Dichte (LDL, low density lipoproteins) regulieren, die im Blutstrom zirkulieren.
 
Cholesterin ist eine lebenswichtige Substanz, die an einigen Stoffwechselprozessen beteiligt ist. Es wird vor allem in der Leber synthetisiert und ist Bestandteil des Fetts, das der Mensch mit der Nahrung aufnimmt. Das Molekül wird sowohl mit dem Blut als auch in der Lymphflüssigkeit transportiert. Es ist dabei in Lipoproteinen verpackt, einer Kombination aus Fett und Eiweiß. Die Lipoproteine lassen sich nach ihrer Dichte in drei Klassen unterscheiden. Die LDL transportieren das Cholesterin. Außerdem gibt es Lipoproteine hoher Dichte (HDL, high density) und solche sehr niederer Dichte (VLDL, very low density).
 
Der selten auftretende Cholesterinmangel führt zu schweren Schäden vor allem des Nervensystems. Cholesterinüberschuss ist dagegen sehr häufig in der Bevölkerung. Die Moleküle lagern sich an den Arterienwänden an und behindern so den Blutfluss. Bei der Hypercholesterinämie können Arterien vollkommen verstopfen und eine Herzattacke oder einen Herzschlag verursachen. Cholesterin lagert sich nur sehr langsam in den Arterien ab. Der Prozess kann Jahrzehnte andauern.
 
 Cholesterin in Fibroblasten
 
Brown und Goldstein untersuchten Patienten mit Familiärer Hypercholesterinämie (FH). Diese Krankheit wird monogen dominant vererbt. Menschen, die homozygot für dieses Gen sind, es also doppelt tragen, erkranken sehr schwer. Ihre Serumcholesterinwerte sind fünffach überhöht. Schwere Arteriosklerosen und koronare Infarkte treten bereits im frühen Erwachsenenalter auf. Heterozygote Genträger erkranken zwischen dem 35. und 55. Lebensjahr. Der Cholesterinspiegel ist hier auch nur etwa halb so hoch wie bei der FH.
 
Brown und Goldstein verglichen kultivierte menschliche Fibroblasten (Bindegewebszellen) von gesunden mit denen erkrankter Menschen. Wie alle menschlichen Zellen benötigen die Fibroblasten Cholesterin in ihrer Zellmembran. Die Forscher entdeckten, dass das LDL-Cholesterin über hochspezifische LDL-Rezeptoren an der Zelloberfläche aufgenommen wird. Die entscheidende Erkenntnis war die Entdeckung, dass die Fibroblasten der homozygoten Patienten überhaupt keine funktionierenden LDL-Rezeptoren besaßen. Fibroblasten der Heterozygoten hatten genau die Hälfte intakter Rezeptoren wie die gesunder Probanden. Die Forscher entdeckten auch, dass in Fibroblasten aus gesunden Probanden die Cholesterinsynthese verhindert wurde, wenn der Zellkultur LDL-haltiges Serum zugesetzt wurde. Die Fibroblasten homozygoter FH-Patienten waren dagegen nicht blockiert, da ihnen funktionierende LDL-Rezeptoren fehlten. Die intrazelluläre Synthese konnte somit nicht gestört werden.
 
In weiteren Studien zeigten Brown und Goldstein, dass das rezeptorgebundene LDL als Komplex aufgenommen wird. Die Rezeptoren sitzen an der Zelloberfläche in einer Art ausgekleideter Höhle. Diese Vertiefung nimmt das LDL auf, schließt sich und trennt sich als Vesikel von der Zelloberfläche. Mehrere Vesikel fusionieren zu einem Endosom. Der gesamte Prozess entspricht einer rezeptorvermittelten Endozytose. Im Zellinneren wird das Cholesterin dann freigesetzt. Dadurch wird die Bildung neuer LDL-Rezeptoren an der Zelloberfläche gestoppt. Eine Reduktion der LDL-Rezeptoren vermindert die LDL-Aufnahme. Das LDL bleibt in der Blutbahn und kann sich in den Arterienwänden anreichern.
 
 Falsche Aminosäuren machen krank
 
Brown und Goldstein haben mit dieser fundamentalen Entdeckung und Aufklärung einen neuen und unerwarteten Weg der Regulation des Cholesterinstoffwechsels gezeigt. Normale Zellen haben ein großes Vermögen, ihr selbst benötigtes Cholesterin zu produzieren. Zirkuliert wenig LDL oder Cholesterin im Blut, bilden die Zellen mehr LDL-Rezeptoren an ihrer Oberfläche, was die Konzentration an LDL im Blut weiter senkt. Je mehr LDL sich in der Blutbahn befindet, umso einfacher ist es für die Zelle, es aufzunehmen. Je mehr Fett mit der Nahrung aufgenommen wird, um so mehr LDL zirkuliert im Blut. Die Entdeckung der LDL-Rezeptoren hat das Verständnis des Cholesterinstoffwechsels außerordentlich vertieft. Der Mechanismus, der sich hinter der FH verbirgt, ist nun wesentlich anschaulicher erklärt.
 
Mit modernen molekularbiologischen Methoden gelang es den beiden Forschern, die Rezeptoren als Glycoproteine zu identifizieren. Der Proteinteil besteht aus 839 Aminosäuren. 767 davon ragen aus der Zelloberfläche heraus, 22 befinden sich innerhalb der Zellmembran und 50 im Zellinnern. Defekte der LDL-Rezeptoren können unterschiedlicher Art sein. Ihre Analyse an zwei Patienten zeigte Veränderungen am intrazellulären Teil des Glycoproteins. In einem Fall lagen statt 50 Aminosäuren nur noch zwei vor. Im anderen Fall bestand dieser Teil aus sechs Aminosäuren in korrekter Folge und zusätzlich aus acht falschen Aminosäuren. Der Rezeptorteil an der Zelloberfläche war in beiden Fällen intakt.
 
Brown und Goldstein gelang es durch die Entdeckung der LDL-Rezeptoren, vollkommen neue Behandlungsmethoden für FH-Patienten zu entwickeln. Bei der milderen, heterozygoten Form der FH erhöhten sie die Zahl der LDL-Rezeptoren mithilfe der Drogen Cholestyramin und Mevinolin. Die Behandlung senkte den Cholesterinspiegel im Blut. Die starke, homozygote Form der FH konnte medikamentös nicht behandelt werden.
 
 Bedeutung und Ausblick
 
Die beiden Wissenschaftler haben mit ihrer umfassenden Arbeit nicht nur das Verständnis von Arteriosklerose und Herzschlag vertieft. Auch der koronare Infarkt, eine der wichtigsten Todesursachen in den meisten Industrieländern, wird nun besser verstanden. Die erbliche Veranlagung führt gemeinsam mit bestimmten Umweltfaktoren zu einer Reduktion der LDL-Rezeptoren. Das erhöht den LDL-Spiegel im Blut und damit das Risiko, an Arteriosklerose zu erkranken.
 
Für die beiden Forscher ist damit noch nicht das Ende der Möglichkeiten erreicht. Sie denken über Therapiemöglichkeiten nach, wie sich medikamentös die Zahl der LDL-Rezeptoren steigern lässt, ohne strenge Diäten einhalten zu müssen. Sie glauben, dass »es eines Tages für viele Menschen möglich werden müsse, ein Steak zu essen und es auch genießen zu können«.
 
U. Schulte

Universal-Lexikon. 2012.

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